Editorial / Vorwort

Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit und die Solidarität mit den Armen sind Prioritäten der Tätigkeit der SVD. In Heft 3/2015 von "Verbum SVD" werden u. a. die Herausforderungen und die Prozesse beleuchtet, die sich mit dem Engagement für soziale Gerechtigkeit verbinden.

Christian Tauchner SVD

Vor 15 Jahren konnten es die Vereinten Nationen als großen Erfolg feiern, sich über die Ziele für Entwicklung der nächsten Jahrzehnte geeinigt zu haben. Tatsächlich keine Kleinigkeit, dass sich praktisch alle Staaten und großen Akteure auf Weltebene über Entwicklung einigen konnten. Die Nationen vereinbarten, die extreme Armut und den Hunger zu bekämpfen und zu halbieren, die allgemeine Grundschulbildung überall durchzusetzen, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern und die Rolle der Frauen zu stärken, die Kindersterblichkeit zu senken, die Gesundheit der Mütter zu verbessern, HIV/Aids und Malaria sowie andere schwere Krankheiten zu bekämpfen, die ökologische Nachhaltigkeit zu sichern und eine weltweite Entwicklungspartnerschaft aufzubauen – acht „Millenniumsziele“ wurden aufgestellt. Im September 2015 wurden die Ziele und ihre Umsetzung erneut überprüft. Auf vielen Gebieten haben sich erstaunliche Fortschritte eingestellt, die Ziele wurden teilweise erreicht. Allerdings haben die Nationen noch einen weiten Weg vor sich, um zu einem globalen Gleichgewicht in Entwicklung und Lebensmöglichkeiten zu kommen. Fragen von Gerechtigkeit sind eher erschwerend in diesem Prozess, weil damit ein umfassender Anspruch von Gleichheit verbunden ist. Gerade deswegen kann die Perspektive von Gerechtigkeit nicht aufgegeben oder zurückgestellt werden, wenigstens für religiös motivierte Dialogpartner.
Die Steyler Missionare hielten im Generalkapitel 2012 fest, dass sie sich verpflichtet wissen „zum Einsatz für soziale Gerechtigkeit und zur Solidarität mit den Armen. Aus der Erfahrung in unserer Missionsarbeit wissen wir darum, dass die Zahl unserer Dialogpartner, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden und unter verschiedenen Formen von Armut, Ausbeutung und Unterdrückung leiden, stetig wächst“ (Richtlinien für die Gesellschaft 1.9, #22). Diese Option des Einsatzes für soziale Gerechtigkeit wurde besonders von den Steyler Provinzen in Asien gewählt. Die Praxis dürfte dabei wichtiger und stärker sein als die Reflexion und begleitende Forschung – zwei Beiträge in diesem Heft von Verbum SVD beleuchten die Herausforderungen und die Prozesse, die sich mit dem Engagement für soziale Gerechtigkeit verbinden. Dabei setzte das Generalkapitel voraus, dass alle Provinzen und Gemeinschaften „auf den Gebieten der sozialen Gerechtigkeit und Armut […] die Hintergründe und die Auswirkungen der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit unter den Armen und Marginalisierten identifizieren, dann Programme entwickeln und letztlich diese Programme umsetzen“ sollen (Richtlinien für die Gesellschaft 19.9, #23).
„Bis zur Jahrtausendwende war die Sache klar: Es gibt den reichen Norden und den armen Süden. Die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit fließen vom Geber zum Empfänger. Die Akteure sind schnell genannt: Staaten, internationale Organisationen, NRO, Kirchen und Einzelpersonen. Dieses Bild hat sich über die Jahrzehnte verfestigt, ist aber längst in Auflösung begriffen“ (Ottacher und Vogel 2015, 129). Wie sehr die Konturen verschwimmen und die Akteure von Entwicklung und Gestaltung der Gegenwart und Zukunft der Herausforderung für soziale Gerechtigkeit nicht mehr geografisch zugeordnet werden können, zeigt sich in Europa erneut durch die jüngste Flüchtlingswelle. Die Migranten und Asylsuchenden machen hier eigentlich gut funktionierenden Gesellschaften plötzlich deutlich, wie fragwürdig und letztlich unsicher ihr Anspruch von Wohlstand, Vernunft und Ordnung eigentlich ist. Die Migrationswelle zeigt erneut, wie sehr die Option für soziale Gerechtigkeit und Solidarität für die Gesellschaften aller Nationen noch umgesetzt werden muss.

Fifteen years ago the United Nations celebrated a big success when they managed to arrive at common goals for development to be achieved in the following decades. As a matter of fact it was no small feat to bring together almost all nations and major actors worldwide to agree on development. The nations decided to take steps to fight extreme poverty and hunger and reduce the number of affected people, to achieve universal primary education, to promote gender equality and empower women, to reduce child mortality and improve maternal health, to combat HIV/AIDS, malaria and other diseases, to ensure environmental sustainability and to foster global partnership for development—the eight “millennium goals” for development were established. In September 2015, these goals and their implementation were evaluated again. In many fields, there has been incredible achievement, at least some of the goals have been partially fulfilled. Nevertheless, the nations still have a long way ahead to reach a balance in development and living conditions worldwide. Questions about justice are perceived to complicate the processes, as it implies a more general demand of equality. Precisely for this reason, the perspective of justice cannot be omitted or postponed, at least for dialogue partners with religious motivation.
The Divine Word Missionaries in their General Chapter 2012 stated their “commitment to work for social justice and our solidarity with the poor. In our mission, we observe that there is a steady in-crease in the number of our dialogue partners pushed toward the margins of society who are suffering from various forms of poverty, exploitation and oppression” (Congregational Directions 9.1, #22). Particularly the SVD provinces in Asia have adopted this option for social justice as their action programme. Probably they are faring better in practising this commitment than in reflecting on it critically in research—two contributions in this issue of Verbum SVD highlight the challenges and processes related to the commitment to social justice. The General Chapter presumed that all SVD provinces and communities were to “identify the causes and impacts of social and economic inequality among the poor and marginalized, […] develop programs and work toward the implementation of these programs” (Congregational Directions 9.1, #23).
“Until the turn of the millennium it was rather clear: There is a rich North and a poor South. The funds for development collaboration flow from the donors to the receivers. The agents are easy to spell out: states, international organisations, NGOs, churches and individuals. This picture has become fixed over the decades, but for some time now it appears to be dissolving” (Ottacher and Vogel 2015, 129). Just how much the outlines are getting blurred and the agents for development and articulation of present and future challenges towards social justice cannot be assigned according to geographical criteria any more, can be seen in Europe’s trouble tackling the recent wave of refugees. Migrants and asylum seekers suddenly present its well organised and in principle functioning societies with facts that show how questionable and in the long run fragile their claim to wellbeing, reason and coherence is. The wave of migrants shows once again how much the option for social justice and solidarity between all nations is still a challenge to be assumed.

Friedbert Ottacher, Thomas Vogel, Entwicklungszusammenarbeit im Umbruch. Bilanz – Kritik – Perspektiven. Eine Einführung, Frankfurt: Brandes & Apsel 2015.

Seite im Heft 225ff.