Editorial - Vorwort

Das Vorwort zu Nummer 4/2017 von Verbum SVD bietet eine Hinführung zu den Themen des Heftes.

Christian Tauchner SVD

Die Welt verändern
                                  Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert,
                                                                                es kömmt drauf an, sie zu verändern.


Die letzten Bücher zweier bedeutender Soziologen bildeten eine Klammer für meine Lektüre durch das Jahr 2017 – Ulrich Beck, der am 1. Januar 2015 starb, und Zygmunt Bauman, der im Januar 2017 verstarb. Am Jahresanfang erschien die deutsche Ausgabe von Ulrich Becks Metamorphose der Welt. Wegen der Anregung und Provokation, die von diesem Buch ausgeht, luden wir im Steyler Missionswissenschaftlichen Institut zu Reflexionen über die Natur und das Wesen der Mission und Missionswissenschaft ein. Das Ergebnis sind die ersten Artikel in diesem Heft des Verbum SVD. Mehrere andere Mitglieder unseres Instituts fanden die Idee einer solchen Nachlese von Becks Metamorphose interessant, aber sie fanden nicht die notwendige Zeit und Freiräume dafür.

Ende Dezember las ich Zygmunt Baumans Retrotopia, das in England im Februar 2017 veröffentlicht worden und soeben auf Deutsch erschienen war. Ich gehe davon aus, dass Bauman dieses Buch noch selbst fertigstellen konnte, inspiriert vom 500. Jubiläum der Utopia von Thomas Morus 2016. Ich bin beeindruckt von der Weisheit des 91-jährigen Bauman, der davor warnt, sich in die Fallen der Nostalgie verstricken zu lassen. Während die ideale Gestalt einer vollkommenen Gesellschaft bei Morus noch keinen Ort in der Welt hatte, erleben wir heute eine Art Umkehrung: Die Ideale – wenn es denn solche überhaupt noch gibt – werden jetzt irgendwo in der Vergangenheit angesiedelt, findet Baumann, und noch dazu werden diese Ideale ausgehöhlt und abgebaut. In der Sprache der Politik richtete sich Barack Obamas Slogan „Ja, wir können das!“ auf die Zukunft aus und motivierte für gesellschaftliche Veränderung. Sein Nachfolger wählte eine Umkehrung dieses Horizonts und machte eine Kehrtwende mit seinem Schrei „Machen wir Amerika wieder groß!“

Ist das nur eine ideologische Auseinandersetzung? Geht es hier nur um eine philosophische Haltung und den Ausdruck eines Psychogramms – von Politikern, religiösen Führungsfiguren und Jüngern Christi –, um einen Index zur Zuordnung utopischer Träumer oder durchgedrehter Realisten?

Der 200. Geburtstag von Karl Marx wird eine Welle mehr oder weniger intelligenter Kommentare zu den frustrierten Idealen und frustrierenden Wirklichkeiten der aktuellen Gesellschaftsform auslösen. Im Frühjahr 1845 notierte er die Zusammenfassung seiner Analyse von Ludwig Feuerbachs Denken. Seine „11. These ad Feuerbach“ bringt es auf den Punkt: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.“ Die These wird als eine von Marx’ wichtigsten Aussagen angesehen und steht daher auf dem Sockel seines Grabsteins im Highgate Friedhof in London.

In Becks Verständnis des Hinausgehens über gesellschaftlichen Wandel und Veränderung und des Rechnens mit den Möglichkeiten einer Metamorphose wäre Mission sicherlich nicht eine schlichte Frage von verschiedenen Interpretationen der Wirklichkeit. Lange Zeit hindurch hatte die Mission ihren locus in der Weltveränderung. Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, eine völlig andere Dynamik der Mission zur Kenntnis zu nehmen. Die Aufgabe der Jünger könnte nicht weniger bedeuten als sich in die Mission Gottes einzufügen.

Die Steyler Missionare bereiten sich auf ihr Generalkapitel vor, das im Juni und Juli 2018 stattfinden wird. Möglicherweise ist auch dieses Ereignis eine Gelegenheit nicht nur für Wandel und Veränderung, sondern vielmehr für eine Ausrichtung, die weit über alle notwendige Erneuerung hinausgeht, im Sinn einer Metamorphose. Der Artikel von Stephen Bevans stellt die Themen und den Kontext dieses kommenden Generalkapitels vor.

Auf den letzten Seiten dieses Bandes des Verbum SVD findet sich eine Liste mit den neuesten Veröffentlichungen der Steyler Missionare, eine Blitzlichtaufnahme der vielfältigen Arbeiten und Engagements der Steyler. Realistisch gesehen gehe ich davon aus, dass wahrscheinlich nicht alle diese Arbeiten unsere Welt im größeren Rahmen verändern werden, aber ich freue mich, dass sie die Welt in kluger Weise interpretieren. Ich hoffe, dass sie schließlich und endlich zu einer Metamorphose beitragen werden und dass das endgültige Ergebnis ein „sehr schöner Schmetterling“ wird, wie Beck es sagen würde.

Seite im Heft 347ff.