Editorial / Vorwort

Einführung in Heft 4/2020 von "Verbum SVD".

Christian Tauchner SVD

Epiphanie
Am 10. April 2019 stellten mehrere Teams von Astronomen, Mathematikern, Astrophysikern und vielen anderen auf Pressekonferenzen rund um den Globus das erste Bild eines „Schwarzen Lochs“ vor. Dieses Ergebnis jahrelanger hoch technisierter Forschung, Mess- und Rechenarbeit kann durchaus als technologisches Wunder bezeichnet werden und erhielt zu Recht viel Aufmerksamkeit. Ende 2020 veröffentlichte der deutsche Astrophysiker Heino Falcke, ein führendes Mitglied dieses Forschungsunternehmens, einen faszinierenden Bericht über das gesamte Abenteuer namens „Event Horizon Telescope Project“.
Ich finde es interessant, dass in unserer Zeit, die so sehr auf Wissenschaft, Messung und Erfahrungsnachweis versessen ist, so etwas wie ein „Schwarzes Loch“ eine solche Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit erhalten sollte. Tatsächlich hat noch niemand ein Schwarzes Loch im Universum gesehen. Schwarze Löcher sind Objekte im Weltraum, deren Masse auf einen winzigen Punkt konzentriert ist. In ihrem Umfeld ist die Gravitation so stark, dass ihnen nicht einmal Licht entkommen kann. Schwarze Löcher entstehen beim Kollaps sehr massereicher Sterne nach einer Supernova oder in den Zentren von Galaxien, wo sie milliardenmal schwerer sein können als unsere Sonne (vgl. Falcke, S. 342). Da ihre Schwerkraft eine Abstrahlung von Licht nicht zulässt, sind sie nicht sichtbar, aber sie „müssen da sein“, postulieren Mathematik und astrophysikalische Berechnungen und die Wissenschaftler glauben es. Tatsächlich fordert Einsteins Relativitätstheorie ihre Existenz, aber vor diesem Forschungsprojekt gab es kein sichtbares Bild davon. Falcke widmet das ganze Buch der Beschreibung des Aufbaus ihrer Forschung und wie es ihnen gelang, Radioteleskope auf der ganzen Welt zu kombinieren, um ein solches Schwarzes Loch darzustellen. Sie gingen von der Hypothese aus, dass es etwa 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt im Zentrum von „Sagittarius A*“ und „M87“ ein entsprechendes Schwarzes Loch geben könnte. Um eine Vorstellung zu bekommen: Für uns von der Erde aus sieht das dortige Schwarze Loch so klein aus wie ein durchlöchertes Senfkorn in New York, das man von Nimwegen (Falckes Arbeitsort in den Niederlanden) aus betrachtet, oder wie ein Haar in einem Abstand von 350 Kilometern. Tatsächlich hat M87 einen Durchmesser von 100 Milliarden Kilometern und macht 6,5 Milliarden Sonnenmassen aus (S. 258). Dem Team gelang es, kosmische Strahlung in verschiedenen Wellenlängen jenseits des sichtbaren Lichts aufzuzeichnen. Jedes der beteiligten Observatorien speicherte buchstäblich astronomische Datenmengen: 32 Gigabit pro Sekunde – das würde etwa alle vier Minuten eine 1 TB (Terabyte) Festplatte füllen – und es gab acht solcher Teleskope, die jeweils rund 450 TB Daten für das Projekt aufzeichneten (S. 211, 237). Das Endergebnis all ihrer Forschungen, ihrer harten Arbeit und ihres Glücks ist eine unscharfe orange-gelbe Kreisfigur, die als Computerdarstellung der Interferenzberechnungen bei verschiedenen Wellenlängen errechnet wurde. Das ist natürlich kein „Foto“, wie es in gelegentlichen Kommentaren fälschlicherweise heißt, denn eine „Fotografie“ ist etwas, das mit Licht (auf Griechisch phos) „geschrieben“ (graphein) wird, und von einem Schwarzen Loch kommt kein (sichtbares) Licht. Das Bild ergibt sich vielmehr aus den Schatten, die irgendwo im Universum messbar sind und von den Teams um Prof. Falcke berechnet wurden.
Über die astronomische Leistung hinaus reflektiert Prof. Falcke über die Verwendung von Licht: „Auch in unserem Alltag messen wir Abstände mit Licht. Bis 1966 wurde die Einheit der Länge durch den ,Urmeter‘ definiert. Es bestand aus einem Platinum-Iridium-Metallstab, der in Paris gelagert wurde und als Eichmaß diente. Der ,Urmeter‘ entsprach dem Zehnmillionstel des Erdumfangviertels entlang der Meridianlinie vom Nordpol durch Paris. Niemand darf sich also wundern, dass sich die Briten bisher standhaft weigern, das metrische System einzuführen. Heute ist der Meter aber über die Lichtgeschwindigkeit definiert und entspricht genau der Länge, die das Licht im Vakuum innerhalb des 299792458. Teils einer Sekunde zurücklegt“ (S. 61). Da ich weder Mathematiker noch Astrophysiker bin, erschließt sich mir die Schönheit dieser Zahl 299 792 458 nicht wirklich, und ich verstehe in keiner Weise, wie man diesen Sekundenbruchteil messen könnte, um die genaue Entfernung von einem Meter zu erhalten; offensichtlich leben Physiker in einer anderen Welt.
Falcke erweitert seine Überlegungen: „Wir messen immer mit Licht, und nur das, was ich messen kann, existiert für mich auch. Ein Universum ohne Licht würde insofern gar nicht existieren. Raum und Zeit, Materie und Sinne – sie alle sind im Grunde nichts ohne das Licht. Die Bedeutung des Messens für die Definition von Wirklichkeit ist eine Erkenntnis, welche die gesamte Physik des 20. Jahrhunderts durchzieht. Sie ist – auch heute noch – eine radikale Revo-lution des Denkens und bestimmt die Relativitätstheorie genauso wie die Quantenphysik. Denn auch in der Quantenphysik gilt: Erst wenn ich etwas messe, wird etwas Realität. Alles andere ist Interpretation. […] Messen umfasst immer Vorgänge, bei denen Teilchen Kräfte und Licht miteinander austauschen“ (S. 65).
Astronomie, Sterne und Licht haben starke Resonanzen in der christlichen Offenbarung: Die Weisen oder Magier (Mt 2) verfolgten das Licht eines Sterns und fanden schließlich den, der später verkünden sollte: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12). Sie entdeckten, was die Hirten schon früher auf dem Feld und in der Krippe bewundert hatten (Lk 2,9.16). Für beide Gruppen könnte diese Begegnung auch eine Enttäuschung gewesen sein: Nach der Herrlichkeit, die sie auf dem Feld umgab, oder dem Stern, den sie entdeckt hatten, trafen sie am Rande eines Provinznests auf ein zerbrechliches Kind in einer eigenartigen Familie. Die Hirten selbst waren eine höchst marginalisierte Menschengruppe, die Magier Ausländer und Fremde. Dennoch ist es gerade dieses Moment von Peripherie und der Begegnung von Randständigen, das die Kirche feiert als die Manifestation und das Aufstrahlen – epiphania – vor der ganzen Menschheit, die in den Weisen repräsentiert ist – ein erstes Missionsfest im Kirchenjahr.
Wenn Prof. Falcke Recht hat, dass das Licht die Möglichkeit und Sicherheit für Messung liefert und damit die Wirklichkeit überhaupt erst konstituiert, müsste in christlicher Perspektive das Licht von Bethlehem in den Schwachen, Ausgegrenzten und Fremden als letztes Kriterium für religiösen Glauben, soziale Ansiedlung und solidarisches Handeln gelten. Verwandte missiologisch relevante Begriffe sind die Ränder und Peripherien, die Option für die Armen und die Verletzlichkeit eines Kindes.

Seite im Heft 393ff.