Missio Dei – Sich hineinziehen lassen in Gottes Dynamik

Reflexionen zum Verständnis von missio Dei, 70 Jahre nach der Konferenz von Willingen.

Christian Tauchner SVD

Die drei wissenschaftlichen Institute in St. Augustin (Deutschland) widmen sich grundlegenden Interessen der Steyler Missionare: Mission und Missiologie, Kulturen und Völker sowie die Beziehung zu China. Alle drei Institute begehen in diesem Jahr eine Art Jubiläum: Das Anthropos-Institut wurde vor 90 Jahren gegründet und baute auf der bereits gut etablierten Zeitschrift Anthropos aus dem Jahr 1906 auf. Das Steyler Missionswissenschaftliche Institut wurde vor 60 Jahren ins Leben gerufen; die Gründung wurde auf das Erscheinungsdatum des ersten Bandes der Serie "Studia Instituti Missiologici SVD" festgelegt. Das Institut Monumenta Serica schließlich wurde 1935 in Peking gegründet, wanderte nach Japan und in die USA und wurde vor 50 Jahren in St. Augustin angesiedelt.

Was würden Institute, die sich der Forschung und Veröffentlichung widmen, zur Feier ihrer Jubiläen anderes tun als sich zum Nachdenken zusammenzufinden und eine Konferenz oder einen Workshop zu veranstalten? Glücklicherweise gibt es ein weiteres Jubiläum, das den drei Instituten in St. Augustin einen gemeinsamen Fokus bietet: Vor siebzig Jahren reflektierte die Konferenz des Internationalen Missionsrates in Willingen (Deutschland) über die Bedeutung und die Perspektive der Mission nach den Zusammenbrüchen durch den Zweiten Weltkrieg und in den ersten Jahren des Kalten Krieges. Die Konferenz in Willingen wurde wegen ihrer Missionsperspektive der missio Dei bekannt, obwohl dieser Begriff auf der Konferenz nicht verwendet wurde.
Missio Dei, die Teilhabe und Mitwirkung an dem, was Gott in der Welt, in der Gesellschaft und in der Schöpfung wirkt – das ist wohl auf die eine oder andere Weise der Wunsch und die Aufgabe eines jeden Missionars und jeder Missionarin. Auf unterschiedliche Weisen lassen sich diese Sehnsucht und dieses Engagement auch in der Arbeit der drei Sankt Augustiner Institute erkennen. Die Perspektive ist weit genug, um aus den spezifischen Aufgaben der einzelnen Institute heraus Ansätze für das allgemeine Missionsverständnis der SVD zu ermöglichen.

Die vorliegende Ausgabe von Verbum SVD greift einige Anregun-gen aus dem Ansatz der missio Dei auf. Die ersten Artikel befassen sich mit der Konferenz in Willingen und einigen ihrer Interpretationen: Zunächst drucken wir zwei der Erklärungen ab, die die Konferenz vor 70 Jahren abgegeben hat: Über die missionarische Berufung der Kirche und ihre theologische Grundlage. Anhand dieser beiden Texte können sich unsere Leserinnen und Leser ein Bild von Ton und Umfang der Diskussionen in Willingen machen. Und dieser erste Artikel zeigt durch die Gegenüberstellung von Texten auch, dass das Steyler Generalkapitel fünf Jahrzehnte später einen erstaunlich ähnlichen Zugang verfolgte. Der Beitrag von D. Nagy kontextualisiert die Konferenz von Willingen und ihre Vorschläge, während C. Tauchner die missio Dei in einen größeren Kontext der Entwicklungen inner-halb der römisch-katholischen Kirche stellt.
Eines der zentralen Themen in Willingen war die Situation in China, das nur wenige Jahre vor der Konferenz kommunistisch geworden war. Einige der Teilnehmer in Willingen waren kurz zuvor aus ihrer Mission in China vertrieben worden, der Koreakrieg war in vollem Gange, und so stand dieser Teil der Welt ganz oben auf der Tagesordnung. Zwei Beiträge beziehen sich auf China und beleuchten die dortigen missionarischen Entwicklungen in historischer Perspektive: Der Ritenstreit und die Suche nach chinesischen Ausdrucksformen des christlichen Glaubens (C. von Collani), und die Wurzeln und überraschenden Folgen der Vertreibung ausländischer Missionare nach 1949 (E. Giunipero).

Der dritte Abschnitt der Artikel befasst sich mit verschiedenen Aspekten einer "Mission von Gott her": Die gesamte Bibel weist auf Gott als den Herrn der Geschichte und der Schöpfung hin (V. Nguyen); das Engagement für GFS (Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung) würdigt diese Tatsache, dass Gott in der Schöpfung und der Geschichte gegenwärtig ist, und formuliert den Dienst an Gott in unserer Zeit (P. Phan und J. Boeing). Diese drei Artikel orientieren sich an den beiden "charakteristischen Dimensionen" von Bibel und GFS der Steyler. E. Tiefensee geht auf die besondere Situation Deutschlands und seine Einbettung in eine fortgeschrittene und sogar "erzwungene Säkularität" ein, die ein "Umdenken" der Mission erfordert – nicht nur in Mitteleuropa.
Schließlich gibt es zwei Überlegungen zum Steyler Generalkapitel des Jahres 2000, das in gewisser Weise die Perspektive der Mission Gottes einnahm: S. Lazar stellt Aspekte der Arbeit des Steyler Generalats im Horizont eines solchen Missionsverständnisses und seiner praktischen Konsequenzen dar. C. Tauchner kehrt zum Generalkapitel selbst zurück und hebt wichtige Elemente und Schritte hervor, um zu einer Umsetzung solcher Missionsperspektiven zu gelangen, wie sie auf dem Generalkapitel erarbeitet wurden, um die Mission Gottes zur leitenden Sicht der Kongregation zu machen.

Die gesamte Ausgabe von Verbum SVD kreist um die beiden Pole der Steyler Missionare und ihres Generalkapitels mit den sich daraus ergebenden Entwicklungen für die Missionspraxis, und der Konzeption der missio Dei, wie sie sich aus der Konferenz von Willingen in den Jahrzehnten danach entwickelt hat. Es ist unvermeidlich, dass einige der Beiträge SVD-internes Vokabular verwenden und auf Quellen verweisen, die für Leser außerhalb der SVD-Kreise schwer zugänglich sind.

Missio Dei hat mit den processiones in Gott zu tun, so dass es nicht überrascht, wenn von Bewegung und Entwicklung die Rede ist, weder für das Gottesverständnis noch für die Art und Weise, wie die Kirche in dieser Welt lebt. Weder die Perspektive von Willingen mit einer missio Dei noch das Steyler Generalkapitel von 2000 waren als archimedische Punkte gemeint, um eine absolute Gewissheit darüber zu bestimmen, wie man Mission betreibt und in der Gegenwart Gottes lebt. Vielmehr dienen sie dazu, die Impulse für die Weiterentwicklung der missionarischen Nachfolge in der liebenden Fürsorge Gottes und in der treuen Anpassung an neue Herausforderungen in der wachsenden Freiheit des Missionseinsatzes zu erneuern.

Seite im Heft 143 ff.