Vorwort zu Heft 1/2016 von Verbum SVD zum Thema "Im Dazwischen angesiedelt".
Im Dazwischen angesiedelt
Die aktuellen Migrationsbewegungen rufen unübersehbar in Erinnerung, dass die menschliche Existenz über ihre jeweiligen Orte hinausstrebt. Man kann sie nicht auf einen Ort festlegen – trotz des Ideals der stabilitas loci der alten Orden, das dadurch ermöglicht wurde, dass das Paradies symbolisch im Kreuzgang vergegenwärtigt wurde. Für andere Konstruktionen des Menschenlebens sind das Hinübergehen und die Suche nach dem anderen Ort notwendig. Das Christentum bezieht sich stark auf die Inspiration des Exodus: Ein unterdrücktes „Volk“ bricht auf, entkommt auf irgendwie wundersame Weise den Mächtigen und Gewalttätigen und geht die schwierigen und herausfordernden Wege zu einem versprochenen Land. Ähnlich ist es mit dem Begriff des Reiches Gottes: Es dient als Inspiration und existentielle Organisationskraft durch seine geheimnisvolle Gegenwart im Volk: „Das Reich Gottes ist (schon) mitten unter euch“ (Lk 17,21). Allerdings warnt der Text unmittelbar davor, es schon jetzt festmachen zu können: Es „kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte“. Es gibt diese existentielle Spannung zwischen dem Schon und dem Noch-nicht.
Für die Israeliten war es schwer, auf dem Weg ins versprochene Land zu bleiben. Immer wieder protestierten sie gegen ihre begeisterten Anführer, sie sehnten sich nach den alten Sicherheiten – trotz der damit verbundenen Sklaverei. Es ist interessant zu sehen, dass im gleichen Kapitel wie das große Loblied auf die Befreiung sofort auch der erste Protest gegen die Freiheit beschrieben wird (Ex 15,24; vgl. auch Ex 16,3 und weitere Hinweise auf diese Sehnsucht nach einer Rückkehr).
Auf der anderen Seite war der lange Weg durch alle möglichen Wüsten die Möglichkeit, die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaftsform der Zukunft und ihre Struktur herauszuarbeiten, auch wenn das oft in literarischer Rückprojektion in die Geschichte erarbeitet wurde: Nach dem Exil siedelte die theologische Reflexion die Rahmenbedingungen für eine ideale Gesellschaft in der Zeit des Wüstenweges an. Das Ergebnis ist eine Rekonstruktion der Geschichte mit einer Mischung aus Gabe, gnadenerfüllter Erwartung und sakramentaler Prozession (siehe Jericho), aber auch von Eroberung, Ausrottung, Krieg und unaussprechlicher Brutalität (siehe die wiederholten Forderungen nach gnadenloser Vernichtung, z. B. in Jos 8). Die prekäre Situation in der Wüste zwischen der zurückgelassenen Sklaverei und dem einer kommenden Generation versprochenen Land war offenbar ein fruchtbarer Nährboden für geisterfüllte Hoffnung und Vertrauen in Gottes Barmherzigkeit, aber auch für eine schreckliche Entschiedenheit für das Erobern und Aufrichten der eigenen Herrschaft. Man musste sich entscheiden zwischen der Wiederholung und Vergrößerung der Vergangenheit und der Offenheit den neuen Herausforderungen und Gnaden gegenüber, die ein immer wieder überraschender Gott und Befreier anbot. Diese Unbestimmtheit macht den langen Weg durch die Wüste so unangenehm: Es gibt ja so viel Schönes, nach dem man sich zurücksehnt, und es gibt die Hoffnung und Erwartung von Neuem und Großem jenseits des Vorstellbaren.
Vielleicht ist gerade hier das „inter“ angesiedelt. Neuerdings haben die Steyler Missionare in ihrem Missionsverständnis viel Interesse am „inter“ – zum Beispiel interkulturell, interreligiös, inter gentes. Vor der offensichtlichen Unmöglichkeit, sich auf alte koloniale Machtmechanismen für die Mission zu verlassen, aber auch gegenüber der Vorsicht und Weigerung in ein versprochenes Land hinüberzugehen, das gepflegt und verändert werden muss, um zum Lebensraum zu werden, bietet das „inter“ den Missionaren eine Möglichkeit, sich im Zwischenbereich anzusiedeln, sich im Dazwischen einzurichten: Die Forderung von „Fleischtöpfen […] und genug zu essen“ (Ex 16,3) auf der einen Seite, die Aussicht sich über den Jordan hinüberzuwagen ins neue Land auf der anderen Seite. Es ist die Versuchung, sich im Dazwischen anzusiedeln und aus beiden Bereichen das Beste herauszuholen – ein wenig „Fleischtöpfe“ der Sklaverei, ein wenig „Begeisterung“ für die Utopie, wenn möglich in einer Oase mit Wasser zum Trinken und Palmen für den Schatten.
Die Beiträge dieser Ausgabe von Verbum SVD haben irgendwie al-le solche Situationen und Übergangszustände zum Thema, verschiedene Momente des Dazwischen: Die Nobelpreisträgerin Pearl S. Buck litt unter der Spannung zwischen ihrem Aufwachsen in der chinesischen Kultur und ihren Wurzeln im nordamerikanischen Christentum. Philipus Panda Koten zeigt in seinem Artikel die Lamaholots zwischen ihren traditionellen Auffassungen von Fruchtbarkeit und der Modernität mit ihren andersartigen Wertgefügen und Angeboten. Andrzej Miotk berichtet ausführlich von einer Konferenz, die sich vor Kurzem mit dem missionarischen und zivilisatorischen Kolonialprojekt Deutschlands vor hundert Jahren, im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg, beschäftigte – ein Beitrag zum Verständnis der Geschichte Togos und anderer Länder, die von der deutschen Kolonialherrschaft betroffen waren.
Schließlich bringt diese Nummer einen langen Beitrag über das Projekt der Steyler Missionare in Chile, in dem es um eine Mission unter der indigenen Bevölkerung gehen sollte. Die Steyler begannen in den 1980er-Jahren mit der Planung dieser Mission und beauftragten den Anthropologen Wayne Robins, das Projekt auszuarbeiten und seine Anforderungen zu klären. Fernando Díaz schrieb über dieses Projekt dreißig Jahre später und erwähnte dort dieses Grundlagendokument mehrmals. Als ein geschichtlicher Beitrag zur aktuellen Diskussion über Interkulturalität ist dieses Dokument immer noch sehr interessant, da es auf die vielfältigen und komplexen Anforderungen hinweist, die das Ansinnen von interkultureller Mission und Arbeit nach wie vor beinhaltet. Auf jeden Fall wird deutlich, dass jedes interkulturelle Engagement eine weitreichende Option und Hingabe erfordert. Das pastorale Engagement mit den Mapuche in Chile brachte viel Leid mit sich, nicht nur wegen der unvermeidlichen Schwierigkeiten eines solchen Projekts, sondern gerade auch wegen eine Reihe von Rückschlägen, nicht zuletzt auch aufgrund einer Kirchenpolitik, die Uniformität durchsetzte, wo Alterität und Anderssein hätten positiv bewertet werden sollen, und wegen des Protests der Mapuche gegen die kulturelle und lebensbedrohende Unterwerfung, die gelegentlich auch in Gewalttätigkeiten gegen die Kirchen ausartete.
Vielleicht ist es eine Träumerei zu glauben, dass man aus der Ge-schichte etwas lernen könnte. Biblische Autoren hatten offenbar solche Träume, als sie sich auf „Geschichte“ und „Versprechen“ bezogen und ihr Nachdenken in den Situationen des Dazwischen ansiedelten, auf den Wüstenstraßen und in den Tränen an Babylons Flüssen (Ps 137). Sie legten allerdings größten Wert darauf, dass das Volk sich nicht für immer dort ansiedelte, im Dazwischen, und die Visionen und die Sehnsucht nach dem gelobten Land aufrechterhielten.
Settling in Between
Present-day migration movements remind us forcefully that human existence transcends its places. It does not work out to relate to only one place—in spite of the stabilitas loci ideal of old orders made possible by the symbolic presence of the paradise within the cloister. For other conceptions of life, there is a necessary passage and quest for a different place. Christianity draws heavily on the exodus inspiration: An oppressed “people” sets out, somehow miraculously es-capes the powerful and mighty and takes the difficult and challenging route towards a promised land. Similarly, the reign of God serves as an inspiration and existential organising force through its mysterious presence among people: “The kingdom of God is among you” (NSRV, or: “within you,” in an older version) (Lk 17:21). However, the text immediately warns against pretending to know it: It “does not come with observation.” There is an existential tension between the already and the not yet.
The people of Israel found it hard to stay on the way to their promised land. Repeatedly they protested against their inspirational leaders, they longed for the old securities—even under slavery. Interestingly, in the same chapter containing the exaltation of liberation, there is the first protest against freedom (Ex 15:24; see also Ex 16:3 and further references to their longing for a return).
On the other hand, the long way through deserts of all sorts al-lowed the elaboration of hope and the design of a better society sometime, even if only in a literary projection back into history: It was after the exile that theological reflection situated the framework for a working society back in the times of the desert. The result is a reconstruction of history with a combination of gift, gracious expectation and sacramental procession (see Jericho), but also of conquest, extermination, war, and unbelievable brutality (see the repeated call for merciless slaughter, e.g. Jos 8). The precarious situation of the desert, between the past slavery and the land promised to a future generation, appears as a fertile ground for spirited hope and faithful trust in God’s mercy, but also for fearful determination to conquer and to establish one’s own kingdom. There is a decision to be made between repeating and magnifying the past structures and opening up to new challenges and graces offered by an ever surprising God and saviour. This indetermination makes the long way through the desert so unpleasant: There is so much positive to fall back onto, and there is the hope and expectation for something new and grand beyond imagination.
Maybe this is where the “inter” is situated. Recently, the Divine Word Missionaries have taken much interest in the “inter” for their missionary perspective—as in intercultural, interfaith, inter gentes. Apparently impeded to return to old colonial mechanisms of power for mission, but also cautious and reluctant to enter the promised land to be cultivated and transformed into their vital space, the “inter” offers the missionaries the possibility to settle down in the interstices, to remain in between: The demand for the “fleshpots and […] our fill of bread” (Ex 16:3) on one side, the perspective of daring to cross the Jordan river into new lands, on the other. It is the temptation to settle down in the in-between and to try to grasp bits and pieces of both—a little “fleshpots” of slavery, a little “inspiration” from utopia, hopefully in an oasis with some water to drink and palm trees for shadow.
The contributions in this issue of Verbum SVD somehow all refer to such situations and states of transition, to a state in between: Nobel laureate Pearl S. Buck suffered from the tension between her up-bringing in Chinese culture and her roots in North American Christianity. Philipus Panda Koten’s article shows the Lamaholots between their traditional conceptions of fertility and modernity with its different sets of values and promises. Andrzej Miotk reports extensively on a recent conference which dealt with the colonial missionary and civilizational project of imperial Germany, a hundred years ago, in the context of World War I—a contribution to understand the history of Togo and other countries under German colonial rule.
Finally, there is a long contribution on the Divine Word Missionaries’ project to establish a mission among an indigenous population in Chile. The SVD set out in the 1980s to plan for a missionary engagement and commissioned anthropologist Wayne Robins to set up the project and lay out its conditions. Fernando Díaz wrote on this project thirty years later and referred to this basic document. As a sort of historical input on the present-day discussion around interculturality, this report is still quite interesting, as it points to the manifold and complex challenges the proposal of intercultural mission and work actually implies. It shows that any intercultural commitment requires a long perspective and dedication. The pastoral engagement with the Mapuche people in Chile has suffered a lot, not only because of the inevitable complications of such a project, but also because of a series of setbacks not least through church policies of uniformity where alterity and otherness should have been valued, and the protest of the Mapuche against cultural and vital domination which has turned occasionally violent even against the churches.
Probably it is still a dream to think history could teach anything. The biblical authors apparently had such dreams when they reported on “history” and “promise” and placed their reflection in the situation “in between,” on the desert roads and the tears by the rivers of Babylon (see Ps 137). However, they also made sure the people did not stay there for ever, in the in-between and kept up the vision and the longing for a promised land.
Seite im Heft 5ff.