Vorwort / Editorial

Einführung in das Doppelheft 3-4/2016 von "Verbum SVD", unter anderem mit Beiträgen zur Kommunikationsperspektive der seelsorglichen Sprachkompetenz sowie zum Missionsbegriff.

Christian Tauchner SVD

Im Anfang - die Wörter
Die Anforderungen eines angemessenen Sprachgebrauchs gehören zur lebenslangen Alltagserfahrung von Missionaren und Menschen, die in interkulturellen Kontexten leben. Sprache hat verschiedene Ebenen und Herausforderungen: Ich sollte fähig sein, einen Kaffee oder Essen in einem Restaurant zu bestellen und angemessen damit umzugehen, sei es in der Verwendung einer Reihe verschiedener Löffel, Gabeln und Messer, sei es mit Fingern zu essen. Es gibt auch einen entsprechenden Gesprächsstil für jeden dieser Kontexte gemeinsamen Essens und wahrscheinlich wird man von mir eine Tischrede oder eine angemessene Teilnahme am Tischgespräch erwarten.
Es gibt sicher auch die Herausforderung, theologische und andere gesellschaftlich relevante Fachliteratur zu bewältigen – und glücklich sind die zu preisen, die Rahner in der englischen Übertragung lesen durften und nicht im deutschen Original (vor langer Zeit las ich einen Absatz Rahners, der aus einer Version in Pidgin-Englisch ins Deutsche zurückübersetzt worden war – wie überraschend verständ-lich das war!). Der Vorwurf, dass die junge Generation überhaupt nicht mehr liest, macht diese Herausforderung nicht weniger problematisch (übrigens ist dieser Vorwurf seit den Tagen des Sokrates bestens dokumentiert und war wohl auch damals schon nicht richtiger als heute).

Es gibt allerdings eine weitere Sprachebene mit ihren eigenen hohen Kompetenzanforderungen. Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann (1927–1998) kam in verschiedenen seiner Analysen zu Gesellschaft und Religion darauf zu sprechen. Er nennt sie die „seelsorgliche Sprachkompetenz“. Dabei geht es darum, einen anderen Menschen zu verstehen in dem, was er nicht sagt, aber doch meint, nicht auszusprechen wagt, aber sich doch auf tiefe Erfahrungen von Freude oder Trauer, von Hoffnung oder Angst bezieht, von Erwartung auf Heilung oder Sehnsucht nach Verständnis. In solchen Situationen von persönlichen Beziehungen und Seelsorge genügen weder die Sprachkompetenz des Restaurants noch die des theologischen Diskurses.

Interessanterweise spricht die Publizistische Kommission der Deutschen Bischofskonferenz in einem Dokument (2011) genau diese Anforderungen in einem Kapitel über die „Notwendigkeit eines neuen Bildungs- und Kompetenzbegriffs“ an. Sie hält fest: Notwendig ist ein neuer Bildungs- und (Lese-)Kompetenzbegriff, in dem die klassische Alphabetisierung um die Ausbildung einer umfassenden Kommunikations- und Medienkompetenz erweitert wird. Ihr Ziel ist sowohl die ästhetisch-theoretische Information über mediale Ausdrucksformen und die Einübung ihrer technisch-praktischen Umsetzung sowie die Aufklärung über die Produktionsbedingungen von Medieninhalten und deren Wahrnehmung und Nutzung in einer modernen Gesellschaft: Menschen, die von der andauernden Veränderung des Wissens überfordert sind, sind z. B. vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Menschen, die keinen Zugang zu neuem Wissen haben, entscheiden sich vielleicht im Hinblick auf ihre Ernährung oder Gesundheitsvorsorge oder Erziehungsmethoden falsch. Ein Mangel an Wissen war natürlich auch vor 100 Jahren schon ein Problem, aber kein so großes wie heute. Denn heute bedeutet Wissens-mangel ein hoch prekäres Unbeteiligtsein und Nicht-Teilhaben-Können. Es gibt keinen Ersatz für aktuelles Wissen und andauernde lebenslange Lernbereitschaft. Dieses soziale Problem ist auch das grundlegende Prob-lem einer Ethik, die sich die Frage nach den Medien der Zukunft und der Zukunft der Medien stellt (#79).

Diese Kommunikationsperspektive der seelsorglichen Sprachkompetenz steht im Hintergrund der ersten Beiträge dieses Doppelhefts von Verbum SVD. Der Kommunikationskoordinator der Steyler Missionare am Generalat, Modeste Munimi SVD, stellt seine Sichtweise der Anforderungen einer Neuevangelisierung über die social media vor. Zwei weitere Artikel vertiefen die Perspektiven von Kommunikation.

Eine Reihe anderer Beiträge beschäftigt sich mit dem Missionsbe-griff: die Suche nach einem integralen Missionsbegriff (Klara Csiszar) und ein anderer Blick auf die „ad gentes“-Diskussion aus einer missiologischen Perspektive des Neuen Testaments (Thomas Malipurathu SVD).

Luis Liberti SVD schreibt vom bleibenden Andenken an den argentinischen Märtyrerbischof Angelelli. Anthony Le Duc SVD stellt buddhistische Perspektiven zu einer ökologischen Spiritualität vor, die über ethische Sichtweisen hinausgeht, während Nelly Boonen SSpS über ihre Erfahrung des Engagements mit Gefangenen in Brasilien und ihrer Suche schreibt, über das System von Bestrafung hinauszukommen zu Versöhnung und der Wiederherstellung von Beziehungen. In einem anderen Kontext reflektiert Karl Josef Rivinius SVD über die Anforderungen an die soziale Integration im Umgang mit Migranten und Flüchtlingen in Deutschland.

Nach einem Abschnitt mit verschiedenen Konferenzberichten und Buchbesprechungen findet sich die traditionelle und beachtliche Liste der publicationes confratrum – eine Anregung und Anzeige des weiten Horizonts von Reflexion und Denken, das Steyler Missionare weltweit produzieren. Mögen diese Überlegungen zu einem tieferen Engagement in der Mission beitragen, auf der Ebene theologischer Kompetenz, interkultureller Beziehungsfähigkeit und ganz besonders seelsorglicher Sprachkompetenz.

In the Beginning—Words
The demands of adequate language use belong to the life-long everyday experience of missionaries and people living in intercultural contexts. Language has different levels and challenges: I should be able to ask for a coffee or food in a restaurant and to deal adequately with what I get, be it in the form of a series of spoons, forks and knives, or eating with my fingers. There is also a particular style of conversation demanded for each of these settings of meals and probably I will be expected to offer a toast or to engage in small talk in an appropriate manner.

There is certainly also the challenge to read theological literature and related socially relevant theory—and happy those who were permitted to read Rahner in the US edition and not in the original German (sometime long ago I read one of Rahner’s paragraphs retrans-lated into German from a Pidgin-English version—how astonishingly understandable!). The complaint that the young generation do not read any more does not render this challenge any less demanding (and by the way: the complaint is well documented since the times of Socrates and was probably as wrong then as it is now).

However, there is a further level of language with its own high demands of competence. German sociologist Niklas Luhmann (1927–1998) referred to it in several of his analyses regarding society and religion. He calls this level of language the “pastoral linguistic competence.” It refers to understanding what the other person does not say but mean, does not dare to pronounce, but which may relate to deep experiences of joy or anguish, of hope or fear, of expectation for healing and longing for understanding. In such situations of a personal relationship and pastoral care neither the linguistic competence for the restaurant nor for theological discourse are sufficient.

Interestingly, the Commission on Journalism of the German Bishops’ Conference has issued a document (2011) where they address exactly this requirement in a chapter on the need for a new concept of formation and competence. They state,
There is a demand for a new concept of formation and (reading) competence which expands the classical alpha-betisation through a comprehensive competence for communication and media. Its aim is aesthetic and theoretical information on media ways of expression and training in its technical and practical implementation as well as the enlightenment regarding the conditions of media production of contents and their perception and uses in modern society: Human beings who are overwhelmed by the constant transformations of knowledge find themselves excluded from the employment market. People who have no access to fresh knowledge may take wrong decisions regarding their nutrition or health care or educational methods. Lack of knowledge, obviously, was a problem also a hundred years ago but not as damaging as today. Because nowadays, a deficiency in knowledge signifies a highly precarious disconnection and incapacity to participate socially. There is no replacement for up-to-date knowledge or a continuous disposition to lifelong learning. This social problem is also a fundamental ethical problem if the question about media in the future and the future in the media is addressed (#79).

This communication perspective of pastoral linguistic competence is the backdrop to the first contributions in this double issue of Verbum SVD. The Divine Word Communication Coordinator at the Generalate level, Modeste Munimi SVD, presents his perspectives for a new evangelisation through social media. The following two articles deepen the communication perspectives.
Another series of contributions deals with the concept of mission: how to strive for an integral concept of mission (Klara Csiszar) and a different look at the “ad gentes” discussion from a New Testament missiological perspective (Thomas Malipurathu SVD).

Luis Liberti SVD reminds us of the challenging memory of Argentinian martyr bishop Angelelli. Anthony Le Duc SVD presents Bud-dhist perspectives for an ecological spirituality, beyond an ethical perspective, while Nelly Boonen SSpS reflects on her experience of working with prisoners in Brazil and how to overcome a system of punishment through an engagement with reconciliation and the restoration of relationships. In a different context, Karl Josef Rivinius SVD spells out the challenges of social integration in relation to German dealings with migrants and refugees.

After a section with different conference reports and bibliographical reviews, there is the traditional and fairly astonishing list of publicationes confratrum—an inspiration and indication of the wide field of reflection and thought produced by Divine Word Missionaries worldwide. May these reflections contribute to a deeper commitment in mission on the level of theological competence, of intercultural capacity to relate to people everywhere and, particularly, of pastoral linguistic competence.

Seite im Heft 257ff.