Editorial / Vorwort

Einleitung zu Heft 3/2019 von Verbum SVD.

Christian Tauchner SVD

Vor Kurzem schloss die Amazonassynode ihre Arbeiten in Rom ab. Die Synode erarbeitete eine Reihe von wichtigen Ausrichtungen für eine Kirche, die fest auf dem geheiligten Boden Amazoniens steht – und wohl auch für viele andere Orte auf der ganzen Welt. Eine der ersten Überraschungen besteht in der Veröffentlichung der Vorschläge, die die Synodenväter und -mütter Papst Franziskus überreichten, der an den Besprechungen aktiv und interessiert teilgenommen hat und das endgültige Synodendokument wahrscheinlich sehr bald veröffentlichen wird.

Anfang November fand in Würzburg eine zweitägige Konferenz über die Synode statt, die einen ersten Blick auf den Synodenprozess wagte, um daraus Anregungen und Ausrichtungen zu schöpfen. Etwa 120 TeilnehmerInnen von kirchlichen Hilfswerken, Gemeindeleiter und Religiosen unter anderen diskutierten erste Eindrücke nach der Konferenz im Vatikan. Unter den Teilnehmern waren auch einige brasilianische Bischöfe sowie theologische Berater und Beraterinnen, die an der Synode teilgenommen hatten. Sie berichteten von ihren Einsichten. Sie legten hauptsächlich Zeugnis von der Hoffnung ab, die sie bewegt (vgl. 1 Petr 3,15): Die Synode war nicht nur ein Ereignis im Vatikan, sondern ein Prozess, der vor mehreren Jahren in Amazonien begann und an dem um die 87 000 engagierte Christen in der Erarbeitung des ersten Grundlagendokuments mitwirkten. Dieser Prozess dauert an und soll auch nicht mit dem erwarteten Synodendokument des Papstes beendet werden. In den Worten von Michael Heinz SVD (als Geschäftsführer von Adveniat ein Synodenvater) handelt es sich bei dem erarbeiteten Synodendokument nicht um einen Schlusstext, sondern um ein Anfangsdokument für den weiteren Weg.

Synodale Akzentsetzungen

Von Amazonien und der bewährten Tradition von Basisgemeinden und ihrem Kirchenverständnis als dem Volk Gottes her rührt die neue ekklesiologische Akzentsetzung auf den „synodalen Prozess“, der auch in der Kirchensicht von Papst Franziskus wesentlich ist, wie aus der weitgehend unbeachteten, aber trotzdem grundlegenden Apostolischen Konstitution Episcopalis communio von September 2018 ersichtlich ist. Die Synode in Rom war daher nicht viel mehr als ein Höhepunkt auf diesem langen Weg, der mit den ungezählten Treffen in Amazonien anfing und wieder dorthin zurückführt in die gemeinschaftlichen Versammlungen und Feiern in Amazonien und überall auf der Welt, wo die JüngerInnen Jesu Christi zusammenkommen, um sich in ihrem Engagement für „gutes Leben“ (das „buen vivir“, das ursprünglich von den indigenen Völkern Lateinamerikas erarbeitet und zum Beispiel in der propositio 9 des Synodendokuments aufgegriffen wurde) und dem Aufbau einer Gesellschaft in Harmonie mit der Natur und den Mitmenschen als Brüdern und Schwestern zu bestärken.

Eine andere Akzentverschiebung tritt in der vatikanischen Versammlung in den Vordergrund: Die Kirche ist weniger eine lehrende als eine lernende Gemeinschaft. Im Deutschen funktioniert das Wortspiel vom Übergang besser; die Kirche hätte entsprechend weniger ein Lehramt als ein Lernamt. Natürlich gibt es Leute in der Kirche, die solche Visionen strikt ablehnen … Aber die Synode unterstrich diese Verschiebung hin zum Hören, Schauen, Teilen und Mitgehen mit den Menschen. Das hat auch zutiefst mit einer Kirche zu tun, die aus der Eucharistie wächst.

Wie erwartet, wurden die Fragen von Umwelt und Klimawandel zu den zentralen kirchlichen und ekklesiologischen Themen der Synode. Vielleicht handelt es sich dabei nur um eine erneute Betonung der Kontextualität in einer Zeit, in der es der Welt zunehmend bewusst wird, welche unfassbaren Gefahren und tödlichen Folgen manche Optionen der Vergangenheit mit sich bringen, was die abendländischen kapitalistischen Entwicklungspraktiken angeht. Für Katholiken sollte diese Betonung von Ökologie nicht allzu überraschend sein, da sie der Papst mit Laudato si’ sehr hoch oben auf die Agenda gesetzt hat. Die Synode behandelte diese komplexen Fragestellungen im Zusammenhang mit einer integralen Ökologie und der Sorge um das „gemeinsame Haus“. Eine integrale Ökologie und die mit ihr zusammenhängenden Herausforderungen verlangen eine tiefgreifende Bekehrung [die deutschen Übersetzungen verwendeten in diesem Zusammenhang oft „Veränderung“ und „Wandel“ statt Bekehrung und Umkehr!] in der seelsorglichen Ausrichtung, in der Beziehung zu den Kulturen und im Selbstverständnis der Kirche. So eine neue und bekehrte Beziehung zur Natur, zu den anderen Menschen, zur Entwicklung, zu den Armen und an den Rand Gedrängten sollte wesentliche Folgerungen nach sich ziehen: Es würde um eine Bekehrung von einem hierarchischen und kyriarchischen Selbstvollzug der Kirche gehen, was gleichberechtigte Beziehungen und Bedingungen für Frauen in der Kirche einschließt. Vom Standpunkt einer integralen Ökologie aus würden dann auch Fragen nach eucharistischem Dienst, Diakonat und personae probatae behandelt werden. Es würde auch eine wesentliche Veränderung in Entwicklungs- und Wirtschaftsbeziehungen bedeuten und damit zu einer grundlegenden Bekehrung weg von westlichen Zivilisationssichten führen. Bei der Tagung in Würzburg hieß es, dass darin auch eine fundamentale Kritik der kapitalistischen Wirtschaft eingeschlossen sein muss, die sich immer noch auf Wachstum und unendlichen Konsumismus stützt – also auf grenzenlose Ausbeutung und Ungerechtigkeit. Ein christlicher Zugang müsste die Soziallehre und das Engagement für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit ernst nehmen – was wieder mit dem Grundverständnis von „gutem Leben“ zusammenstimmt.

Veränderung und Bekehrung

Es sollte niemanden überraschen, dass die Synode Veränderung und Bekehrung so wichtig genommen hat. Veränderung und Bekehren gehören doch prinzipiell zu den Grundoptionen des Christentums: vom „kehrt um“ in Mk 1,15 bis zum „ich mache alles neu“ (Offb 21,5) mit einem neuen Himmel und einer neuen Erde ist das Neue Testament voll von Bekehrung, Veränderung und Erneuerung. Dieses „kehrt um“ von Mk 1,15 ist eigentlich das meta-noeite: „ändert euren Sinn“, gebt eurem ganzen Leben eine andere Ausrichtung und Blickrichtung. Für offene und treue JüngerInnen Jesu ist daher wenig Überraschung in der Forderung nach Bekehrung, Veränderung und Umkehr in der Kirche und Welt, die sich auf die Herstellung der Herrschaft Gottes ausrichtet, auch wenn das die Umkehrung von angeblich rechtgläubigen und traditionellen kirchlichen Gewohnheiten bedeutet (siehe dazu die unerhört freche Kritik mancher Gruppierungen im Vatikan und den USA am Papst).
Die Perspektive, den Kontext ernst zu nehmen, das „gute Leben“ für alle in weltweiter Solidarität und Gerechtigkeit und ein Engagement für eine umfassende Ökologie zu suchen, stellt die Mission und die Missiologie auf eine neue Grundlage und fordert neue Bezugspunkte. Die Kirchen – und im Besonderen die Religiosen – können auf lange Traditionen von alternativen Lebensweisen zurückgreifen. Sie wissen um einfaches Leben, um die Absage an konsumbezogenes Verhalten, um das Teilen und das Dienen. Bei der Konferenz in Würzburg war einer der Redner zuversichtlich, dass die Kirche auf ihre Sinnressourcen für die Lebensgestaltung zurückgreifen könnte; solche Sinnressourcen gehören zu den guten kirchlichen Traditionen, die sie zur Gesellschaftsveränderung beitragen und unseren Gesellschaften anbieten soll, die sich aufgrund der internen Widersprüchlichkeiten ihrer Zivilisationsperspektiven größeren Brüchen ausgesetzt sehen. Allerdings müssen solche Beiträge der Kirche an die Gesellschaft der Versuchung widerstehen, von ihrer perfekten Fülle lehren zu wollen, weil sich ja die kirchliche Gemeinschaft auf der gleichen Ebene mit dem Volk ansiedelt, speziell mit den Armen und Ausgegrenzten. In den Worten der Amazonassynode eröffnet und probiert Amazonien „neue Wege für die Kirche und für eine integrale Ökologie“. Missionare und Missionswissenschaft sollten sich an den Rändern einfinden und die Grenzen überkommener Kirchenmodelle und Zivilisationsperspektiven überschreiten auf die neuen Aufgaben hin, die vor uns liegen.

Seite im Heft 167ff.