Editorial / Vorwort

Dieses Doppelheft von Verbum SVD befasst sich mit der SVD-Priorität Erst- und Neu-Evangelisierung.

Christian Tauchner

Die Perspektive von Dialog ging aus der Mitte der Diskussionen beim II. Vatikanischen Konzil hervor mit der Enzyklika Ecclesiam Suam, die Paul VI. im August 1964 veröffentlichte, genau vor 50 Jahren. Sie hatte großen Einfluss auf zentrale Texte des Konzils wie Gaudium et Spes und die Reflexion der Jahre nachher. Manche der Zentralbegriffe von Ecclesiam Suam werden heute wahrscheinlich eine neue Interpretation erfordern: Glauben wir, dass die Wahrheit, die wir zu verkünden haben, sicher ist, einfach so dahinbehauptet? Ist diese Wahrheit sicher und das Heil notwendig und sind wir in der Lage, diese Wahrheit endgültig auszusagen? Sind unsere legitimen Mittel menschlicher Freundlichkeit, inneren Überzeugens und alltäglichen Gesprächs inspiriert an der Beziehung zu solcher Wahrheit?
Als diese inspirierende Enzyklika herauskam, entwickelte Paulo Freire seine Methode befreienden Erziehens, die er in der Pädagogik der Unterdrückten formulierte, seinem berühmten Buch, das er 1968 abschloss und ab 1970 verschiedentlich veröffentlichte (deutsch: Hamburg 1973). Das Hauptanliegen dieser Methode war es, dem Menschen eine Dynamik anzubieten, mit der er seinen Sinn für Menschlichkeit wiedergewinnen kann – zuerst die Unterdrückten, aber in der Folge auch die Unterdrücker, wenn sie einen Sinneswandel durchmachen.
Freire kritisierte den „Bankiers“-Begriff von Erziehung: Inhalte können in einem Menschen nicht wie in einer Bank deponiert werden, um bei Bedarf abgehoben zu werden. Gegenwärtige Handlungsperspektiven in der Kirche und manchen Kongregationen, das Fehlen von Inspiration und Engagement in einem Verwaltungsmodus bewältigen zu wollen, finden wohl die vermutliche Sicherheit eines solchen „Banken“-Systems attraktiv. Im Gegensatz dazu geht Freires Erziehung von einer Beziehung aus und beginnt mit dem Wahrnehmen der konkreten Situation von Student und Begleiter zu einem gegebenen Zeitpunkt. Heute würde man das „Kontext“ nennen. Er bietet Schlüsselbegriffe an – „generative Wörter“ – und von ihnen her lässt sich das gesamte Umfeld rekonstruieren und verstehen, unter Verwendung der Werkzeuge von Alphabetisierung und formeller Bildung.
Das Schlüsselwort dieser Verbum SVD-Ausgabe ist Evangelisierung. Man mag bezweifeln, ob dieser Schlüsselbegriff tatsächlich den Kontext der Leser und Leserinnen so sehr ausmacht, dass er zum „generativen Wort“ wird. Im Bericht Freires von befreiender Erziehung war für manche Kleinbauern das Wort „tijolo“ (Ziegel) so ein generatives Wort, das ihre gesamte Lebenserfahrung von Ausbeutung und Unterdrückung zusammenfasste und ihnen nicht nur half, das Wort buchstabieren, lesen und schreiben zu lernen, sondern gleichzeitig auch die Unterdrückung aufzudecken und ihre Befreiung zu konstruieren – ein gefährlicher Prozess, wie Freire und viele andere schnell entdecken mussten. Ist Evangelisierung so ein generativer Begriff für die Kirche, für eine Kongregation wie die Steyler Missionare und für die Gemeinschaften auf der ganzen Welt? Oder ist sie ein Schatz, der zur Sicherheit in der „Bank“ deponiert wird, solange man mit der Verwaltung der alltäglich anfallenden Arbeiten zu tun hat?
Das generative Wort par excellence für die Steyler Missionare muss natürlich in Großbuchstaben geschrieben werden: DAS WORT. Es bezieht sich zugleich auf vielfältige Kontexte, auf die Geschichte und auf Lebensgeschichten. Die Beiträge in diesem Doppelheft des Verbum SVD nähern sich dem Mysterium des menschgewordenen Wortes an.
Dieser Ausgabe des Verbum SVD liegt auch ein kleiner Fragebogen bei: Die Herausgeber der Zeitschrift möchten ja den Lesern ein optimales Werkzeug für ihre Fortbildung anbieten. Daher würden wir gern eine „kleine Hilfe von unseren Freunden“ (wie die Beatles 1967 sangen) bekommen, die die Fragen beantworten und uns so ein Feedback geben. Der Fragebogen steht auch auf unserer Internetseite www.missionswissenschaft.eu (in verschiedenen Sprachen). Danke für die Mitarbeit daran.

The perspective of dialogue rose out of the middle of the discussions of Vatican Council II with the encyclical Ecclesiam Suam Paul VI published in August 1964, exactly 50 years ago. It has become quite influential on central Council texts like Gaudium et Spes and the reflection in subsequent years. Some of the central terms in Ecclesiam Suam might require a renewed interpretation today: Do we consider the truth we have to proclaim as certain, stated as simply as that? Is this truth certain and the salvation necessary and would we be sure to be able to spell it out? Are our legitimate means of human friendliness, interior persuasion, and ordinary conversation inspired by the reference to such truth?
About the time of this inspiring encyclical, Paulo Freire developed his method of liberating education, which he formulated in Pedagogy of the Oppressed, his famous book finished around 1968 and published from 1970 onwards. The central purpose of this method was to provide dynamic means for the person to regain a sense of humanity, first of all the oppressed, but in consequence also the oppressors through a change of heart.
Freire criticised the “banking” concept of education: Contents cannot be deposited in a person to be retrieved at will. Actual policies in church and congregations to switch into an administrative mode of dealing with the lack of inspiration and engagement favour the supposed certainties of such banking concepts. However, according to Freire, education builds on relationship and starts from the concrete situation of the student and facilitator at a given moment. Today, this would be called “context.” It provides the key concepts—“generative words”—and from there, the whole universe would be re-constructed and understood using also the tools of literacy and formal education.
The key word in this edition of Verbum SVD is evangelisation. There might be some doubt whether this key concept is actually tied into the context of the Verbum SVD readers in such a way that it becomes a “generative word.” In Freire’s account of liberating educa-tion, for some peasants the word “tijolo” (brick) constituted such a generative word, as it tied together their whole life experience of exploitation and oppression and helped them not only to learn to read and write the word, but also to spell oppression and build liberation—dangerously enough, as Freire and many others found out soon enough. Is evangelisation such a generative concept for the church, for a congregation such as the Divine Word Missionaries, and for its missionaries worldwide? Or is it rather a treasure to be kept safely in the “bank” while dealing with the administration of everyday business?
The generative word par excellence for the Divine Word Missionaries should be written in capital letters, of course: THE WORD. It refers immediately to manifold contexts, to history and life stories. The articles of this double issue of Verbum SVD somehow approach this mystery of the Word becoming flesh.
Enclosed in this edition of Verbum SVD, there is also a little questionnaire: The editors of the journal want to offer our readers an op-timum instrument for their ongoing formation, therefore we would appreciate “a little help from our friends” (as the Beatles sang in 1967), who answer the questions and give us some feedback. The questionnaire is available also on our website www.missionswissenschaft.eu, in different languages. Thank you for collaborating.

Seite im Heft 127ff