Editorial / Vorwort

Einführung zu Verbum SVD Heft 2-3/2021 zu den Schwerpunkten: Philippines - 500 Years und The Pandemic and Prophetic Dialogue

Christian Tauchner SVD

Vor fünfzig Jahren gab Gustavo Gutiérrez’ Buch Theologie der Befreiung der Art und Weise, Kirche zu sein und Theologie zu praktizieren, einen Namen, der sich weltweit in einer Weise entwickelt hat, die der Autor und die Subjekte seiner Studie 1971 in Lima, Peru, niemals hätten vorhersehen können. Die Kirche in Lateinamerika hatte ernsthafte Schritte und kühne Entscheidungen unternommen, um die Anregungen des Zweiten Vatikanischen Konzils umzusetzen – das Konzil selbst war zugleich das Ergebnis gewaltiger Entwicklungen in der Gesellschaft und kirchlichen Reflexion und selbst ein mächtiger Impulsgeber und eine Inspiration, den gesellschaftlichen Entwicklungen zu vertrauen, die Welt in Gottes barmherzigen Händen zu sehen und deshalb kreative Ansätze zu wagen. Es waren Zeiten von Utopien und Hoffnungen auf Veränderung und die Kirche sah sich im Dienst der Transformation von Welt und Gesellschaft hin zum Reich Gottes. Es gibt wohl viele theologische Institute, die dieses Jubiläum zum Anlass genommen haben, über die Errungenschaften, Aufgaben und Verheißungen einer befreienden Praxis der Theologie nachzudenken.

Der erste Abschnitt der Beiträge in dieser Ausgabe von Verbum SVD befasst sich mit den Philippinen anlässlich des Gedenkens an die 500 Jahre seit der ersten Ankunft der Europäer dort – Jahrhunderte der Kolonialherrschaft und Katechese, der Bildung und Kontrolle, der Befreiung und Transformation. Vieles von dem, was in Lateinamerika geschehen ist und sich dort in der Befreiungstheologie niedergeschlagen hat, ist auch für die Philippinen relevant: Dort herrschte vor Jahrzehnten eine Diktatur und befreiendes Engagement hat geholfen, sie zu stürzen. Leider sieht es jetzt mit dem autoritären und mörderischen Regime von Präsident Duterte nicht besser aus. Wie in den 1970er- und 1980er-Jahren in Lateinamerika ist der Verdacht auf „Kommunismus“ keine akademische Frage, sondern ein Todesurteil, wie viele Basisgemeinden in Lateinamerika erfahren haben und Filipinos heute erleben müssen. Und damals in Lateinamerika wie heute auf den Philippinen wird das Streben nach Gerechtigkeit, Gleichheit, Menschenrechten und einer geschwisterlichen Gesellschaft beschuldigt, „kommunistisch“ zu sein.
Die Aufgabe der theologischen Reflexion mit vielen verschiedenen Kontexten mag ganz in der Linie dessen bleiben, was Gustavo Gutiérrez 1971 in der ersten Einleitung zu seinem Buch schrieb:
Es geht weder darum, eine Ideologie zur Verteidigung schon eingenommener Positionen zu entwickeln, noch fieberhaft nach Sicherheit vor radikalen Fragestellungen, denen der Glaube ausgesetzt ist, zu suchen, noch eine Theologie zurechtzuzimmern, von der man dann eine politische Aktion herleiten könnte. Es geht vielmehr darum, dass wir uns unter das Urteil des Wortes des Herrn stellen, unseren Glauben überdenken, unsere Liebe größer werden lassen und aus einem inneren Entschluss her, der radikaler, wirksamer und total werden will, Rechenschaft von unserer Hoffnung geben. Es geht darum, die großen Themen des christlichen Lebens innerhalb des radikalen Wandels der Perspektiven und im Zusammenhang der neuen Problematik, die eine solche Verpflichtung mit sich bringt, wieder aufzugreifen. Dies also ist das Anliegen der sogenannten „Theologie der Befreiung“.

Seite im Heft 149ff.